Am 13. September 2024 ist unser Mitglied, der Historiker Dr. Jens Dobler verstorben.
Nachstehend zwei Nachrufe, verfasst von Karl-Heinz Steinle für die Siegessäule, Berlin und von Ralf Dose für die Webseite der Magnus Hirschfeld Gesellschaft, Berlin, die beide auch Mitglieder im Fachverband Homosexualität und Geschichte sind.
Nachruf auf Jens Dobler
Von Karl-Heinz Steinle
Unser Mitglied, der Historiker Jens Dobler ist gestorben. Mit ihm verliert die Forschung zur queeren (Berlin-) Geschichte und Polizeigeschichte eine gewichtige und originelle, immer verlässliche und nie polemische Stimme, die Diskussionen nicht gescheut hat.
1965 in Baden-Württemberg geboren, studierte er Erziehungswissenschaften, Psychologie und Neuere Geschichte und promovierte an der Technischen Universität über die Homosexuellenverfolgung durch die Berliner Polizei bis 1933. Von 2010 bis 2015 war er Archiv- und Bibliotheksleiter des Schwulen Museums, von 2015 bis 2022 leitete er die Polizeihistorische Sammlung im Polizeipräsidium Berlin.
Jens Dobler verfasste Standardwerke zur Polizeigeschichte, arbeitete auch journalistisch dazu und schrieb z.B. für die SIEGESSÄULEjahrelang den „Polizeireport“. Seine wissenschaftliche Arbeit umfasste eine breite queere, auch aktuelle Themenpalette in unterschiedlichen Formaten für unterschiedliche Zwecke.
Neben literarischen Wiederentdeckungen, wie dem Lesben-Roman „Der Liebe Lust und Leid von Frau zu Frau“ von 1895 oder „Männer zu verkaufen“ von 1930 erstellte er mit „Prolegomena zu Magnus Hirschfelds Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen (1899 bis 1923)“ ein enzyklopädisches Nachschlagewerk. Regionale Grundlagenforschungen waren seine Ausstellungs- und Buchprojekte „Von anderen Ufern“ und „Verzaubert in Nord-Ost“ zur queeren Geschichte der Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg, Weißensee, Prenzlauer Berg und Pankow. Für das Schwule Museum entwickelte er erinnerungskulturelle Projekte und die Wanderausstellung „Lesbisch, jüdisch, schwul“. 2022 erschien sein absolut lesenswertes Buch „You have never seen a dancer like Voo Doo. Das unglaubliche Leben des Willy Pape“, das eine faszinierende queere Biografie des 20. Jahrhunderts vorstellt.
Zuletzt arbeitete Jens an dem gewaltigen Forschungsprojekt „Die Plünderung des Instituts für Sexualwissenschaft von Magnus Hirschfeld in der NS-Zeit“, das er seit 2022 für die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft durchführte. In Kooperation mit dem Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg recherchierte er mit seinem speziellen durch die eigene Sammelleidenschaft geschärften Spürsinn Provenienz und Verbleib eines jedes Teils der Sammlung des Instituts für Sexualwissenschaft.
Darüber beleuchtet er aus einer ganz neuen Perspektive die Zerschlagung der weltweit ersten queeren Emanzipationsbewegung und fächert das komplexe internationale Geflecht im Kunst- und Bibliotheksbetrieb bis heute auf. Seine Recherchen rekonstruieren den Gesamtbestand dieser Sammlung und damit den damaligen State of the Art und Gedächtnis der queeren Kultur. Das zeigt er auf und gibt es weiter – eine nachhaltige und großzügige Arbeitsweise, die typisch war für Jens.
Die Gespräche mit Jens habe ich sehr genossen. Sie waren so wie auch seine Texte sind: fundiert, verständlich, zum weiter dran Arbeiten und darauf Aufbauen.
Danke sehr dafür Jens und bye bye
Die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft trauert um Dr. Jens Dobler
Von Ralf Dose
Dr. Jens Dobler 7. Februar 1965 – 13.September 2024
Jens Dobler studierte Erziehungswissenschaften, Psychologie und Neuere Geschichte. 2008 wurde er an der Technischen Universität Berlin in Neuerer Geschichte promoviert mit einer Arbeit zur Homosexuellenverfolgung durch die Berliner Polizei zwischen 1848 und 1933. Von 2007 bis 2022 war er Vorstandsmitglied der Magnus-HIrschfeld-Gesellschaft. 2010 bis 2015 war er Archiv- und Bibliotheksleiter des Schwulen Museums* in Berlin, anschließend leitete er bis 2022 die Polizeihistorische Sammlung im Polizeipräsidium Berlin. Seit Oktober 2022 bearbeitete er für die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft das Forschungsprojekt „Die Plünderung des Instituts für Sexualwissenschaft von Magnus Hirschfeld in der NS-Zeit“, das vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste gefördert wird.
Jens starb am Vormittag des 13. September 2024 in seiner Wohnung. Sein Tod kam leider nicht unerwartet – er litt unter einer sehr aggressiven Krebserkrankung und hatte uns über seinen Gesundheitszustand nicht im Unklaren gelassen. Es war seine Entscheidung, die mögliche Verlängerung seines Institutsprojekts um ein weiteres Jahr nicht zu beantragen: Er wusste, dass er diese Zeit nicht mehr haben würde. Stattdessen steckte er alle ihm verbliebene Kraft in die Fertigstellung des Manuskripts mit den Ergebnissen seiner Forschungen.
Der Wunsch, möglichst viel davon noch selbst abschließen zu können, hat ihn lange am Leben gehalten. Er hat dafür gesorgt, dass wir wissen, auf welchem Stand seine Arbeiten sind und wo wir die Unterlagen dazu finden können. Dieses Projekt werden wir als sein Vermächtnis zu Ende führen. Noch ein weiteres Vorhaben hat er uns aufgetragen: Kurz vor seinem Tod schickte er uns eine Audio-Datei mit Angaben und Hinweisen zu seinem Projekt eines Lexikons der Damendarsteller. Er wusste, dass er dieses ihm so wichtige Projekt nicht mehr selbst fertigstellen könnte.
Wir verdanken Jens Dobler zahlreiche Arbeiten zur schwulen und LSBTI*-Geschichte. Besonders wichtig für die Forschungen zum Umfeld von Magnus Hirschfeld und dem Institut für Sexualwissenschaft waren die von ihm zusammengestellten Indizes zu den Jahrbüchern für sexuelle Zwischenstufen: Namens- und Ortsverzeichnisse, die das sichere Auffinden von Informationen in diesen Quellen erst möglich gemacht haben (erschienen 2004).
Sein besonderes Interesse galt dem Verhältnis zwischen der Polizei und den Homosexuellen. Aus dem Thema seiner Dissertation ergaben sich biografische Arbeiten über einige Angehörige der Polizei, die besonders eng mit dem Wissenschaftlich-humanitären Komitee zusammengearbeitet haben: Leopold von Meerscheidt-Hüllessem, Hans von Tresckow, Dr. Heinrich Kopp und Karl Metelmann. Dass dem Rechtsanwalt und WhK-Obmann Fritz Flato 2011 in Berlin ein Denkmal gesetzt werden konnte, geht auf seine Initiative zurück.
Aber sein Interesse an der Polizeiarbeit beschränkte sich nicht auf die Zeit vor 1933 und die Zeit des Nationalsozialismus, sondern nahm auch spätere Ereignisse in den Blick. Die akribisch vorbereitete Ausstellung Drei Kugeln auf Rudi Dutschke (2018) im Polizeihistorischen Museum lenkte 50 Jahre nach dem Attentat große Aufmerksamkeit auf ein traumatisches Ereignis der Westberliner Geschichte.
Die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft hat Jens Dobler viel zu verdanken. Ohne seine Umsicht und sein Engagement wäre uns die Übernahme der Bibliothek zur Kulturgeschichte der Sexualität und der Sexualwissenschaft aus dem früheren Frankfurter Institut für Sexualwissenschaft nicht möglich gewesen. Sein Blick für das Wesentliche und sein ruhiges Urteil auch in schwierigen Situationen werden uns fehlen. Seine nun uns anvertrauten Projekte zu Ende zu führen, ist uns Verpflichtung.